Zwischen Münster und Incheon, entlang von Seoul bis Köln – der Künstler Ung-Pil Byen lokalisiert behutsam Verbindungen der eigenen Existenz zwischen Himmel und Erde in seiner neuen Porträtreihe. „Someone“ heißt die Ausstellung, die die Choi & Choi Gallery mit ihren Standorten in Köln und Seoul für zeitgenössische Kunst seit 9. August in der Südstadt zeigt. Ist da jemand? Bin ich jemand? Ist jeder jemand? Der koreanische Maler bringt sein ambivalentes Verhältnis zum Grundprinzip der Sozialität erkenntnisgeleitet zum Ausdruck. Im Wohlgefallen Byens abstrahierten Gemälden geht es um emotionale Bildung durch Geschichten, die die Betrachter zur eigenen Erzählung reziprok auffordert.
Im Gegensatz zum Aktivismusschrott auf den Rundgängen so mancher Kunsthochschule im Bundesgebiet tut der fernöstliche Ansatz ganz gut, mit dem Ung-Pil Byen eine feinsinnige Begegnung mit – einer anderen – Welt bis zur Lebensreife ermöglicht. Man fühlt sich als Betrachter ernst genommen und ist bereit, sich des Künstlers Offenheit anzunehmen, um nahbar und angreifbar zugleich in die triadische Kommunikation zwischen Autor, Werk und Betrachter sachte einzutreten. Der 1970 in Korea geborene Künstler, der nach einem Studium in Münster mittlerweile wieder etwas zurückgezogen in Incheon vor den Toren von Seoul, der pulsierenden Metropole zwischen Hanbok und K-Pop, lebt, kehrt mit „Someone“ nach Nordrhein-Westfalen zurück.
In der Werkreihe „Someone“, die die Schwestern Sunhee und Jinhee Choi in die Kölner Südstadt holen, löst sich Ung-Pil Byen von früheren Porträtserien. Nicht nur die persönliche Weiterentwicklung, sich auf das Wesentliche zu reduzieren, ebenso wandelt sich der klassische Blick Auge in Auge seit Dürers selbstbewusstem En-face in der westlichen Porträtgattung förmlich in eine Vogelperspektive auf. Als ob Byen eine Metareflexion des Seins suche, tilgt er Haare, Brauen, Nase, Mund und Ohren so stark, das nur noch das abstrahierte Spiel von Linie, Fläche, Form und Farbe zu derjenigen kompositorischen Kontemplation findet, das ein friedvolles Ich zu rahmen erlaubt. Erstmals im Sommer 1996 zum Studium an der Kunstakademie Münster angetreten beherrscht der Meisterschüler von Guillaume Bijl natürlich alle Techniken einer mimetischen Wiedergabe. Naturgetreues Malen erschöpft sich jedoch nicht allein in technischer Virtuosität. Es ist auch das Streben nach dem Höheren und Ganzen als solches, die lebensphilosophische Frage zu stellen, was die eigene Natur als ein Kulturwesen ausmacht. In dieser conditio humana, das der Mensch sich stetig in Wechselseitigkeit mit anderen befindet, um zu Erkenntnissen über sich in der Welt zu gelangen, bedeutet im humanistischen Ideal tagtäglich harte Arbeit. Die beste Version von sich selbst wird einem nicht geschenkt, sondern es reibt, es kracht, es strengt an, es fordert heraus und es ermüdet, sich möglicherweise unumkehrbar zu verlieren, ohne sich je gefunden zu haben.
Ung-Pil Byen lässt keinen Zweifel an seinem zum Teil phobischen Ringen nach Selbstgewissheit aufkommen, wenn er ehrlich be- und erkennt: „Ich liebe und hasse Menschen zugleich. Menschen sind Alles auf dieser Welt und du kannst nichts ohne sie machen.“ In diesem Satz steckt eigentlich der ganze Segen und Fluch von Menschlichkeit. Wie gelange ich im Einklang mit Anderen zur nötigen Weltaneignung und sozialen Anerkennung, um überhaupt als jemand zu gelten? Byen, damals ein koreanischer Student im etwas piefig-pofigen Münster, sah sich lange als „erkennbarer Außenseiter in seinem Umfeld“. Geselligkeit, Kontaktfreude und Zugewandtheit erlebt er neuerdings lieber mit einem Hund, weswegen er auch nicht zur Vernissage erscheinen konnte. Verletzlichkeit und Selbstschutz könnten die Treiber sein, malerisch an- und abwesend zu sein. Die Gesichter sind vielmehr konzeptionell als repräsentativ, weil Byen universelle Bilder vom singulären Ich mit ihnen schafft.
In privaten und öffentlichen Sammlungen sind Ung-Pil Byens Werke zu finden, so zum Beispiel im National Museum of Contemporary Art und im Seoul Museum of Art in Korea, ebenfalls im Museum MARTA Herfod. Während Choi & Choi seine Malereien nach Köln bringen, hat ihn die breitere Masse fernab des Kunstbetriebs eher als Bildhauer wahrnehmen können, als der Jurist, Autor und Journalist Ronen Steinke auf X auf das „entblößte Gesäß“ von Byens Skulpturen im Oberverwaltungsgericht Münster zu Beginn des Jahres hinwies. Hinter der Sicherheitsschleuse im vierstöckigen Eingangssaal des Gerichts hocken nämlich seit 2014 zwei nackte Stofffiguren von ihm.
Schlicht ist schön. So und nicht anders trifft es, womit sich Ung-Pil Byens Porträtreihe in „Someone“ qualitativ unterscheidet. Gewiss liest man den westlichen Siegeszug der Pop Art auch in Byens neuen Motiven auf den ersten Blick heraus. Die Farbflächen im Verhältnis zu den feinen Linien stimmen eine vergleichbar grafische Sprache plakativ an. Die Farben sind jedoch eher sandig und cremig als laut und knallend. Die etwas kleineren Formate, ebenso die größeren in der Werkreihe wirken wie Panels. An- und Ausschnitt verstärken den Eindruck. Keinwegs ist ein Vergleich mit Comicsprache, übrigens auch charakteristisch für Pop Art, abwertend gemeint, wenn die elegant gerahmten Einzelwerke auch als Verdichtung im Größeren und Ganzen über die Frage des (Miteinander) Seins von Choi & Choi in der zweistöckigen Galerie sorgfältig kuratiert hier Erwähnung finden. Wenn Ung-Pil Byen sich auf die Essenz des Motivs konzentriert, indem er auf seinen bisherigen unverwechselbaren Pinselduktus verzichtet, wird seine prüfende Betrachtung im Porträt selbst zum Dreh- und Angelpunkt des malerischen Konzepts. Ein schwebendes Stück Papier auf dem Kopf oder ein zartes Baumblättle auf dem Mund der porträtierten Figur stellen malerische Gesetzmäßigkeiten infrage. Im konstanten Pendel zwischen Schwebe und Halt sind mit Ung-Pil Byens sanften, aber wohl entschiedenen Porträts der Choi & Choi Gallery eine Menge interessierter Besucher abseits des kölschen „Schu-schu Hallöchen“ der Kunstszene zu wünschen.